Erfolgreiche Podiumsdiskussion in Herrenberg zur Zukunft der Familienpflege
Herrenberg, 14. Oktober 2021. Die Evangelische Diakonieschwesternschaft Herrenberg-Korntal hat am Mittwochabend zu einer Podiumsdiskussion in die Mutterhauskirche Herrenberg eingeladen um über die Zukunft der Familienpflege zu diskutieren. Einig waren sich alle Teilnehmer:innen auf dem Podium darin, jetzt gemeinsam anzupacken und in die Zukunft zu investieren – sowohl Verbands- und Praxisvertreter als auch Politik.
„Für uns war das eine gelungene Veranstaltung. Es hat uns gefreut, dass vor allem so viel Fachpublikum anwesend war. Das spiegelt zum einen das Engagement derjenigen wider, die in der Praxis für diesen Beruf kämpfen. Zum anderen deren großes Anliegen, dass alle notwendigen Akteure sich zusammensetzen müssen, wenn es gelingen soll, die wichtige Leistung der Familienpflege nachhaltig zu sichern", sagt Michael Köhler, Fachlicher Vorstand der Evangelischen Diakonieschwesternschaft, die Trägerin der Berufsfachschule für Haus- und Familienpflege in Korntal ist.
Auf dem Podium saßen neben ihm Professorin Christel Althaus, Landesfamilienrat Baden-Württemberg, Reinhard Ernst, Geschäftsführer Sozialstation Leonberg, Birgit Hannemann, Geschäftsführerin „Zukunft Familie", Gabriele Hönes, Leiterin der Abteilung Gesundheit, Alter und Pflege beim Diakonischen Werk Württemberg und aus der Politik Florian Wahl, (MdL) Vorsitzender des Sozialausschusses. Sabine Foth, Präsidentin der württembergischen evangelischen Landessynode, musste leider am selben Tag die Veranstaltung noch krankheitsbedingt absagen.
Vor welchen Herausforderungen die Familienpflege steht, wurde schon zu Beginn der Diskussion klar, als Professorin Althaus über die derzeitige Situation berichtete. Dabei ging es nicht nur um die Anforderungen und den gesellschaftlichen Druck, zum Beispiel durch doppelte Erwerbstätigkeit oder die Zeitverteilung in den Familien selbst, sondern auch darum, dass jedes 5. Kind an der Armutsgrenze oder teilweise darunter lebt. Corona habe zudem gezeigt, welche großen Auswirkungen die Digitalisierung auf die Familien hat und wie viel in diesen Monaten von den Familien abverlangt wurde. Daran hat sich bis heute nichts verändert. Deshalb können wir nicht ohne Familienpflege auskommen, denn sie erhält die Grundstruktur unserer Gesellschaft – nämlich die Familie.
„Die Sozialstation Leonberg hat vor 15 Jahren noch fünf Familienpfleger:innen beschäftigt, heute sind es 50", erzählte Reinhard Ernst und zeigt damit eins der seltenen Best Practice Beispiele. „Die Einsätze haben sich jedoch in all den Jahren verändert, deutlich haben zum Beispiel durchs Jugendamt finanzierte Fälle zugenommen und in Coronazeiten auch die Gewalt in Familien. Die einfachen Einsätze, wie beispielsweise bei einer Schwangerschaft, machen mittlerweile nur noch circa 20 Prozent aus. Auch die Genehmigungen bei den Krankenkassen werden schwieriger." Es werde zwar fast jeder Antrag an sich genehmigt, aber nicht mit den notwendigen Stunden. Zudem ist auch die auskömmliche Finanzierung immer noch ein Problem", erklärt Ernst.
Je größer der Dienst ist, desto besser kann auf eingehende Anfragen reagiert werden, weil genügend und flexible Ressourcen zur Verfügung stehen. Außerdem können so auch bessere Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitmodelle geschaffen werden, was für die Gewinnung und Bindung der Mitarbeiter:innen wichtig ist. Kleinere Dienste dagegen können nicht auskömmlich finanziert werden, so dass in den letzten Jahren viele Angebote eingestellt wurden. Dies hat Auswirkungen auch auf die Ausbildungssituation. Es gibt in ganz Baden-Württemberg nur noch zwei Schulen, die eine Ausbildung anbieten. Die Anzahl der Familien, die jedoch Unterstützung benötigen, steigt immer weiter an.
Ein weiterer Diskussionspunkt waren zukünftige Folgekosten oder Folgeschäden (seelischer Art), die durch den Einsatz von Familienpfleger:innen verhindert werden können. Birgit Hannemann brachte es dann auf den Punkt: „Beziffern kann man diesen Wert nicht, denn Familienpflege sei unbezahlbar. Auch trotz Corona waren die Familienpfleger:innen stets im Einsatz für die Familien." Bei der Caritas gibt es einen bischöflichen Fonds, der eine Zwischenfinanzierung ermöglicht, denn oft ist schnelle Hilfe gefragt. Auch ein Punkt den Althaus bemängelt, denn es muss meist schnell gehen, wenn ein Notfall eintritt, da müssten noch einige bürokratische Hürden abgebaut werden.
Birgit Hannemann wünscht sich, dass alle Player noch enger verzahnt werden und aus der Politik Unterstützung erhalten. Gerd Bürkle, Geschäftsführer des Evangelischen Schulwerks für Baden und Württemberg, der als Zuhörer im Publikum saß, äußerte Wünsche an die Politik und forderte unter andrem die Schulgeldfreiheit, denn Familienpflege falle hier bisher durch jegliches Raster. Auch die Finanzierung des 1. Ausbildungsjahres für Betriebe müsse geregelt werden, so dass Ausbildungsbetriebe nicht zusätzlich belastet werden. Dass die beiden Schulen für die Zukunft inhaltlich und konzeptionell gut aufgestellt sind, bestätigte Michael Köhler. Jetzt müssen noch die weiteren Rahmenbedingungen auf politischer Ebene geschaffen werden.
Professorin Althaus bot an im Landesfamilienrat mehr für das Thema zu werben und in den nächsten Vorstandssitzungen Vertreterinnen aus der Familienpflege einzuladen. Ihrer Ansicht nach benötigt es eine Familienförderstrategie. Diese hat es zwar bereits schon in den Koalitionsvertrag der baden-württembergischen Landesregierung geschafft, jedoch mit einem Haushaltsvorbehalt.
Als Abgeordneter und Vorsitzender des Sozialausschusses versprach Florian Wahl zusammen mit dem Sozialministerium eine Debatte über Familienpflege in den Ausschuss einzubringen und zu führen und sich auch vorab mit den Fachleuten auszutauschen und Konzepte abzustimmen. Ein Versprechen, das bei allen Beteiligten große Hoffnungen geweckt hat. Für ihn ist Familienpflege ein Segen und es ist Wert dafür zu kämpfen. Ein starkes Statement vor der Schlussrunde.
Auf die Frage des Moderators Joachim Stängle, wo man in einem Jahr stehen werde, unterstrich Professorin Althaus nochmals, dass „wir bis dahin in einem engen Austausch mit allen Fraktionen sind und ein Bewusstsein für die Familienpflege geschaffen haben". Reinhard Ernst sprach die finanzielle Lage an und erhofft sich, dass bis dahin eine Familienpflegeausbildungsumlage ähnlich der in der Pflege auf den Weg gebracht wurde, um die Finanzierung der Ausbildung zu sichern. Birgit Hannemann wäre glücklich, „wenn Familienpflege bis dahin in der Öffentlichkeit und Gesellschaft bekannter geworden ist und deren Wichtigkeit auch in der Gesellschaft endlich gesehen und erkannt wird". Gabriele Hönes schafft bis dahin eine Projektstelle in ihrer Abteilung im Diakonischen Werk. Florian Wahl hat konkrete Angebote gemacht und setzt sich in der Politik für einen Antrag und die politische Debatte ein, er betont aber auch, dass viele politische Prozesse seine Zeit dauern werden, es aber wichtig ist, dass nun ein Startsignal gegeben ist.
Für Michael Köhler waren die vielen Zusagen der Podiumsteilnehmer:innen schon jetzt ein voller Erfolg. Er hofft darauf, dass in einem Jahr das Thema bereits angepackt und nach vorne gebracht wurde und es nicht bei Lippenbekenntnissen bleibt.
Folgende Fotos stehen zum Download bereit:
Foto 3: Reinhard Ernst (2.v.l.), Geschäftsführer Sozialstation Leonberg, mit Podiumsteilnehmer:innen
Foto 4: Florian Wahl, (MdL) Vorsitzender des Sozialausschusses
Foto 7: Michel Köhler (1.v.l.) und Florian Wahl (Mitte) im Gespräch
Foto 9: Komplette Podiumsrunde mit Moderator Joachim Stängle (1.v.r.)
Foto 10: Zuschauer Peter Seimer, (MdL)